Auf EURACTIV ist ein interessanter Artikel zum SCHEER Report mit dem Titel „EU study on electronic cigarettes under fire“ 1 erschienen.
Übersetzung @krolli5 mit freundlicher Genehmigung des Autors Sarantis Michalopoulos
Betroffene Interessenvertreter haben einen kürzlich veröffentlichten EU Report über E-Zigaretten heftig kritisiert, weil die Ergebnisse im Hinblick auf deren gesundheitliche Auswirkungen sehr selektiv seien. Die Europäische Kommission besteht jedoch darauf, die Studie beruhe auf den neuesten und aktuellen Erkenntnissen.
Der Wissenschaftliche Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und neu auftretende Risiken (SCHEER) der Europäischen Kommission veröffentlichte am 23. September diese vorläufige Stellungnahme zu neuartigen Tabakprodukten als Grundlage der im nächsten Jahr anstehenden Bewertung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse (TPD).
Elektronische Zigaretten und neuartige Tabakprodukte haben sich als Alternativen zum traditionellen Rauchen herausgebildet. Rauchen ist in der EU jedes Jahr für fast 700.000 Todesfälle verantwortlich.
Die EU ist jedoch immer noch zögerlich, diesen steigenden Trend anzuerkennen da es keine Erkenntnisse für seine langfristigen Auswirkungen gäbe.
Die Befürworter hingegen zitieren mehrere weltweite Studien und bestehen darauf, dass neuartige Tabakprodukte im Vergleich zum traditionellen Rauchen deutlich viel weniger schädlich sind. Dagegen haltend betonen die EU-Politiker, dass eine geringere Schädlichkeit aber immer noch Schaden sei.
Darüberhinaus steht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den elektronischen Zigaretten extrem ablehnend gegenüber, da sie genügend Beweise dafür vorliegen habe, dass diese Produkte gesundheitsschädlich und daher keinesfalls sicher sind.
„Es ist jedoch zu früh, um eine klare Antwort auf die langfristigen Auswirkungen beim Gebrauch oder der Exposition mit den Inhaltsstoffen dieser Produkten zu geben“, sagt die UN-Organisation.
NGOs aus dem Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens haben auch vor den negativen Auswirkungen des Dampfens gewarnt, insbesondere inmitten der COVID-19-Pandemie.
Das Europäische Netzwerk für die Prävention des Rauchens und des Tabakkonsums (ENSP) startete im April eine Kampagne, in der davor gewarnt wurde, dass Raucher und Vaper mit einem höheren Risiko für COVID-19 behaftet sind.
ENSP bezog sich dabei besonders auf neuartige Tabakprodukte, sagte ENSP: „Es ist wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sie unabhängig davon, ob sie Dampf oder Rauch produzieren, immer noch infektiöse Lungenschäden hervorrufen können, wie dies bei herkömmlichen Zigaretten der Fall ist, und daher nicht als ’sicherere‘ Optionen betrachtet werden können“.
Widersprüchliche Aussagen
Der unabhängige wissenschaftliche Ausschuss der Kommission kam zu dem Schluss, dass es starke Beweise dafür gibt, dass elektronische Zigaretten für junge Menschen das Einfallstor zum Rauchen darstellen, ein Argument, dem auch die WHO zustimmt.
Darüber hinaus betonte das wissenschaftliche Gremium, dass es nur sehr „schwache Belege“ für die Wirksamkeit elektronischer Zigaretten bei der Rauchentwöhnung gibt. Beweise für eine Reduktion des Rauchens können überhaupt nur als schwach bis mäßig bewertet werden.
Die Tabakindustrie reagierte heftig und erklärte die Stellungnahme als parteiisch.
Ein Sprecher von Imperial Brands, einem britischen multinationalen Tabakkonzern, sagte, die Stellungnahme berücksichtige nur einen Teil der wissenschaftlichen Literatur und auch nur aus einem begrenzten Zeitraum, wobei in dieser Betrachtung über die verfügbare unabhängige wissenschaftliche Literatur ein ganz erheblicher Teil ausgelassen worden sei.
Auf das stets angeführte „Gateway“- Argument sagte der Sprecher, dies stehe im Gegensatz zu den tatsächlichen aktuellen Belegen aus Großbritannien und Kanada und forderte die EU-Exekutive auf, für ihre These glaubwürdige Beweise vorzulegen.
In ihrem letzten Bericht aus 2020 führte Public Health England dazu aus: „Aktuelles Vaping unter Jugendlichen konzentriert sich hauptsächlich auf die, die Vorerfahrung mit dem Rauchen haben. Weniger als 1% der jungen Menschen, die vorher noch nie geraucht haben, sind aktuelle Vaper“.
Die Tabakindustrie betonte auch, dass dieser Report die E-Zigarette ganz allgemeinen als risikobehaftet herabstuft, ohne überhaupt eventuelle Risiken im ihrem Verhältnis zum traditionellen Rauchen zu bewerten.
„Speziell im Bezug auf kardiovaskuläre Risiken, die der SCHEER Report anspricht, zeigt eine kürzlich von der britischen Herzstiftung durchgeführte klinische Studie die erheblichen Vorteile bei kardiovaskulären Ereignissen sowie der Gefäßfunktion schon bereits einen Monat nach dem Umstieg vom Rauchen zum Dampfen. Diese unabhängige Studie aber wurde von SCHEER nicht einmal in Betracht gezogen“, erklärte Imperial Brands.
(Anmerkung: weshalb wird hier ausgerechnet ein Sprecher der Tabakindustrie befragt? Viel wichtiger wäre es gewesen einen Sprecher aus der E-Dampfprodukteindustrie z.B. IEVA zu interviewen! So hinterlässt es leider wieder ein Geschmäckle.)
Das Argument, der SCHEER-Ausschuss habe sich nicht auf wissenschaftliche Daten gestützt wies ein Sprecher der EU-Kommission zurück.
„Der SCHEER-Ausschuss berücksichtigt die neuesten und aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Entwicklungen sowie gegebenenfalls die bestehenden Bestimmungen über E-Zigaretten im Rahmen der TPD (insbesondere Artikel 20(3)) und die Entwicklung neuer Produkte auf dem Markt“, sagte ein EU-Sprecher gegenüber EURACTIV.
„Das wissenschaftliche Gutachten befasst sich mit Überlegungen, die sowohl für gesundheitliche Belange des Einzelindividuums aber auch auf Gesamtbevölkerungsebene relevant sind, und zwar aus der Sicht der öffentlichen Gesundheit und eben als Antwort auf gezielte Fragen, die eben nur von der beauftragenden GD gestellt werden (vgl. Mandat)“, sagte der Sprecher.
EURACTIV wurde darüber informiert, dass die SCHEER-Arbeitsgruppe „E-Zigaretten“ sich nun mit den eingereichten spezifischen Kommentaren, Vorschlägen, Erläuterungen oder Beiträgen auf der wissenschaftlichen Grundlage des Gutachtens beschäftigt, die bis zum 26. Oktober von den zu berücksichtigenden Interessengruppen eingegangen sind.
„Diese Kommentare werden dann berücksichtigt, wenn sie für relevant befunden werden“, sagte der Sprecher.
(Anmerkung: Bedeutet das nun, dass Einreichungen, welche nicht in den Plan der EU-Kommission passen, direkt in die Tonne gekloppt werden ohne diese weiter zu betrachten?!?)
EURACTIV wandte sich auch an den italienischen Professor Riccardo Polosa, der Direktor des Exzellenzzentrums für die Beschleunigung der Schadensminderung (CoEHAR) ist. Er sagte, dass der „Report überhaupt keinen ausführlichen Raum für die Bewertung der Entwöhnung einräume – es seien weniger als nur zwei Seiten im diesem Bericht“.
Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Reports, so fügte er hinzu, sei die „angesehene Cochrane-Review“ in der neuesten Aktualisierung erschienen, die nun (moderate) Beweise für die Wirksamkeit der E-Zigarette zur Rauchentwöhnung bestätigt gefunden habe.
„Wissenschaft hat die Messlatte für ihre Beweiskraft sehr hoch gelegt, was absolut richtig ist. Gleichzeitig ist aber jede Möglichkeit, wie eine Person mit dem Rauchen aufhören kann, gut – ob Kaugummi oder Lutscher. Im Sinne einer Harm-Reduction haben wir erkannt, dass eine Substitution viel einfacher erreichbar ist als eine Abstinenz, deshalb haben die E-Zigaretten bisher vielen Menschen geholfen, mit dem Rauchen aufzuhören“, erklärte er.
Gastkommentar von @krolli5
Ganz wesentlich ist aber, dass die Wissenschaftsabteilung der EU-Kommission zur Anfertigung ihres Reports keinerlei eigene Studien durchgeführt hat! Das dabei zustande gekommene Ergebnis stellt somit lediglich ein Zusammentragen und Wertung bereits vorhandener Studien dar. Dabei wäre zumindest zu berücksichtigen, dass die überwiegende Mehrzahl der bemühten Werke nahezu ausschließlich dem angelsächsischen Sprachraum entspringt, wo bekanntermaßen eine erheblich aversive Voreingenommenheit gegenüber der Dampferei besteht. Ebenso wird aus Unkenntnis der gravierend unterschiedlichen regulatorischen Bedingt-heiten grundsätzlich unterschlagen, dass in den USA ausnahmslos Alles – und dabei ganz besonders die eigentlich als völlig eigenständig zu wertende Inhalation von THC-haltigen Cannabisprodukten – in Summe zusammen-gefasst werden und als Vaping bezeichnet wird!
Von daher können Schlussfolgerungen daraus nur mit äußerster Vorsicht gezogen werden und sind in vielen Fällen nicht ansatzweise auf Europa übertragbar!
Weiterführende Informationen
- [EU] IEVA: IEVA responds to SCHEER report
- [DE] businesswire: BAT betont gravierende Fehler in EU-Prüfung von E-Zigaretten (archive.org)
- [EU] Imperial Brands: OUR RESPONSE TO THE EU SCHEER PRELIMINARY OPINION ON ELECTRONIC CIGARETTES (archive.org)
- [DE] DampfFreiheit: [EU] SCHEER – EU Wissenschaftsausschuss ignoriert Fakten