[DE] Paralleluniversen auch Blasen genannt – zu Besuch bei Brokkoli‘s

Von einer bevorstehenden Wiederkehr des „EVALI-Gespenstes

Ein Gastbeitrag von V. Becker.

Jeder hat so sein Päcklein zu tragen. Dampfer kämpfen gegen unseriöse Publikationen und überbordende Regulierungswut an, die Freunde des Brokkoli (Anmerkung: Aussage der Bundesdrogenbeauftragten Daniela Ludwig: „Cannabis ist kein Brokkoli„) leiden schwer unter der Strafverfolgung einer auf Prohibition ausgelegten Drogenpolitik und fechten um die Legalisierung. Man kennt sich vielleicht nicht, aber hilft sich. Da das Begehr vice versa unterstützungswürdig scheint. Sollte man meinen.

Das ändert sich in Minutenschnelle, wenn man es als Dampfer wagt, von einem Brokkoli -Würdenträger unterstütztes weiteres Regulierungsbegehren gegen das Dampfen zu hinterfragen. Und dabei offenbar den Fehler begeht, etwas moderner aufgestellte Parteien, als sie etwa die GroKo darstellt, für ihre unverhohlenen Abneigungen gegen das Dampfen zu kritisieren. Das Argumentum ad Hominem kommt spätestens nach dem zweiten Tweet und nach weniger als einer halben Stunde hagelt es den Ban.

Aus mit der Freundschaft. Dann aber bitte nehmt wenigstens zur Kenntnis, dass sich Dampfen keineswegs im rechtsfreien Raum nach Wildwestmanier abspielt. Mit der EU-TPD2 und dem TabakerzG, sowie dem Gesetz zum Schutz der Jugend (JuSchG) sind bereits weitreichende Regulierungen getroffen. Die nach Meinung Aller durchaus sehr wohl ausreichend sind und um die uns sogar die Ami’s beneiden.

Spätestens hier ahnt der Leser, an wen das adressiert ist. So haben die Bündnis90/Die Grünen mit ihrem Antrag auf eine (saftige) Besteuerung der E-Zigarette unzweideutig klargestellt, dass sie sich mittlerweile im klassisch bürgerlichen Milieu heimisch fühlen. Der Antrag spielt – besonders auch mit der Referenz auf das Gefährlichkeitspapier des BfR untermauert – die bekannte Platte mit dem Sprung. A-Seite: extreme Schädlichkeit – B-Seite: die Kinder.

Erfreulich modern dagegen gibt sich Die Linke, da besonders sticht Niema Movassat durch vorzügliche und tief durchdrungene Kenntnis der Drogenpolitik hervor. Eine Kostprobe davon gab es in der gestreamten Sendung der Urania 1 aus Berlin, zu der die Bundesdrogenbauftragte übrigens nicht einmal für nötig erachtete, einer mehrfachen Einladung zu antworten.

Trotz alledem steht auch Die Linke in ihrer Position der E-Zigarette eher sehr abgeneigt gegenüber. Interessant, dass in dem Disput, aber auch bei Herrn Movassat die Seite Cannabisfakten eine Rolle spielt…


So – Tischtuch also endgültig zerschnitten?

Nicht unbedingt. Aber auffällig schon, dass die Gefangenheit in der eigenen Blase hier offenbar ganz besonders zutrifft. Alles, aber auch alles, was dem eigenen Anliegen nützt, ist gut – fälschlicherweise scheint man sich aber gleichzeitig gegenüber fremden Begehren als besser gestellt abgrenzen zu müssen. Auch wenn die die eigenen Belange überhaupt nicht tangieren.

Nicht der erste Vorfall eingeengter Wahrnehmung.

2019. Wenige Monate nach der EVALI-Krise tauchen hier in Europa Flaschen mit Vitamin-E Acetat in einem Versandshop auf. Mit einem einschlägig auf den Konsumentenkreis ausgerichteten Angebot. Wärmstens empfohlen zum Selberverdünnen von Brokkolisaft. Und weitere Flaschen mit dem Inhalt Squalane zu ganz ähnlichen Zwecken, dazu aber später.

Was also tun mit diesem Fund? Schlicht ignorieren wäre der einfachste Weg, denn es betrifft ja nur die Brokkolifreunde. Trotzdem scheint eine Warnung dringend geboten, denn ein „Unfall“ mit diesem Zeug mitten in Europa kann auch weitreichende Folgen für das eigene Anliegen, das Dampfen nach sich ziehen. Ein Telefonat mit dem bekanntesten Gärtnermagazin über Brokkoli zeugte von ganz ähnlichem Eingebundensein in der eigenen Blase. Auf die Fragen, was denn über EVALI, die Lipoidpneumonie und die Toten in den USA bekannt sei und ob man da warnend auf die eigenen Leser zugehe, war nur Stille zu vernehmen. Unbekannt. So entstand ein Artikel, der auf dem damaligen Wissenstand, aber auch besonders auf den Recherchen von David Downs vom Leafly Portal beruhte. Und mahnend auf Risiken beim Konsum neuartiger THC-Produkte hinwies.

Bei der Recherche dazu hat sich schon vor mehr als einem Jahr verdichtet, dass bei der illegalen Abfüllung hochkonzentrierter THC-Öle für die Verwendung in vercrimpten Einwegkapseln – auch E-Joints – in einschlägigen Foren Rezepturen und Bezugsquellen ausgetauscht wurden. Die Majors, also eigentlich hochangesehene Hersteller von Verdünnungsmitteln haben leider selber nach den ersten Erfolgen von Vitamin-E aka Honey-Cut ihre eigenen Rezepturen darauf abgeändert. Um nach einsetzender Panik sogleich ihre Formulierungen wieder zurück zu ändern. In Foren hingegen gab es Anfragen bzw. Beschwerden, warum man denn für eine Flasche von denen 500$ zahlen solle, wo es eigentlich das gleiche Produkt für die Kosmetikindustrie schon für 50$ zu kaufen gäbe.

Das nährte schon damals den Verdacht, man bediene sich nach einer Austestung auf Verwendbarkeit aus dem kompletten INCI Katalog (INCI = offizielle Nomenklatur der Kosmetikrohstoffe).

Squale und Squalene, Vitamin-E, Kokosöl allesamt Rohstoffe in der Kosmetik. Aber eben nicht nur damit gepanschtes Zeug aus der Hinterhofwerkstatt für den Schwarzmarkt, sondern auch über die Majors vertriebene Conditioner für angesehene Offiziallabel, die Cannabis-Carts mit behördlicher Genehmigung vertreiben dürfen.

So brachte Leafly jüngst einen Artikel 2 über eine größer angelegte Rückrufaktion in Oregon, in der vor Funden von Squalan in bereits im Umlauf befindlichen Kartuschen gewarnt wurde. Mehr noch, diese Enthüllungen werden vermutlich zum Verbot etlicher Ingredienzien führen. Darunter auch MCT = „medium chain terpenes“ also mittelkettige Kohlenwasserstoffe mit Ketten von C8 und C10. Der Verkaufszeitraum liegt bis über ein Jahr zurück und fällt somit genau in die Hochzeit der EVALI-Krise. Die Vorahnung, dass man sich also eifrig aus dem Kosmetikbaukasten bedient, hat sich im Nachhinein vollauf bestätigt.

Wir aber können doch sicher sein, dass so was innerhalb der EU nicht passiert. Weit gefehlt! Zwar hat der eingangs erwähnte Shop die Angebote mittlerweile aus seinem Portal entfernt. Aber die zunehmende Beliebtheit, oder besser die zunehmende Schwemme an CBD-Produkten zeigen etwas anderes.

Hatte ich kürzlich in einer Presseschelte den Redakteur einer Tageszeitung noch gerügt, wie man den auf die Idee komme, in einem Artikel über Rauchen und Dampfen bei Jugendlichen ausgerechnet das Dampfen von CBD-Ölen zu thematisieren? Das schließlich sei schon früh, aber mit Sicherheit spätestens seit der EVALI Erfahrung aus den USA unter Dampfern und ganz besonders in den Shops ein völlig indiskutables Thema. Ein absolutes „No-Go“!

Auch daneben!

Screenshot Beispielbild CBD-Öl

Da CBD scheinbar ein gutes Geschäft verspricht, finden wir in der Parallelblase ein unverblümtes Anpreisen ölhaltiger CBD Produkte!

Wir befinden uns also mitten in der schon gescholtenen Eigennutzwahrnehmung, die alles für sie Nützliche antizipiert, ohne sich im Geringsten für parallele Ereignisse zu interessieren und ohne daraus entstandene wesentliche Erkenntnisse zu beachten und umzusetzen.

So, nun könnte doch mal Schluss sein, ist eben ein Einzelfall. Auch weit gefehlt!

Denn nicht nur die Gärtner, sondern auch der Dampfblase zugehörige Anbieter scheinen vom CBD-Kuchen etwas abbekommen zu wollen und dozieren auf der eigenen Homepage über Vor- und Nachteile. Da wird mit schlagkräftigen Sprüchen, wie „Konsum ohne Reue“, „Natural Living“ mal tüchtig auf den Putz gehauen, die 0,2% THC Obergrenze erwähnt, CBD rein als kristalliner Stoff durchaus richtig angegeben, und dass es eben – wenn es richtig eingestellt ist (Anm. D. Autors) – wie ein herkömmliches Liquid gedampft werden kann. Innerhalb einer endlos erscheinenden grauenvollen Abhandlung zum Dampfen – nein Rauchen einer E-Zigarette – versteckt sich aber noch, dass „E-Zigaretten, die Tabak lediglich erhitzen, eignen sich auch, um darin CBD-Öl zu dampfen.“

Da stellt sich sogleich die Frage: kann man denn CBD-Liquids sicher konsumieren? Worauf folgend genau Antwort gegeben wird. Aber was für eine!

[…] schädliche Verdünnungsmittel in billigen CBD-Liquids ein weiteres Gesundheitsrisiko. Besonders Propylenglykol und Polyethylenglykol dienen als Verdünnungsmittel. Sie zerfallen, gerade wenn man sie in Hochtemperatur-Vape-Pens benutzt, in krebserregende Verbindungen. Daher ist es empfehlenswert, sich vor dem Kauf darüber zu informieren, ob das CBD-Liquid diese Stoffe enthält.“

Jetzt scheint die Verwirrung vollends komplett. Oder ist das – was eine Vermutung nahelegt – doch nur eine Copy&Paste Zusammenstellung aus angelsächsischen Quellen? Ja, zumindest scheint es so.

Denn die teuflische Angst vor dem Ultragift PG ist da seit langem verwurzelt. Was hochgradig verwundert, denn über 50 Mio Dampfer weltweit nehmen ihr Liquid als VG/PG Gemisch ohne Beeinträchtigung seit 15 Jahren zu sich. Auch hier scheint sich die für den Eigennutz hoch einseitig gefärbte Selektivwahrnehmung erneut wieder zu zeigen. Warum gibt es das denn bitte nicht in PG/VG Formulierung. Na deshalb, weil sich ein öliger Auszug aus Cannabis eben nicht darin auflösen lässt! Höchstens die Reinform, die Kristalle. So aber macht man flugs aus der Not gleich eine Tugend, um die nachfragenden Kunden zu besänftigen. PG ist dieser Ansicht nach deswegen eben ungeeignet, weil man ihm schön die Erzeugung krebserregender Carbonyle anhängen kann. Die US-Quellen empfehlen daher meistens PEG200 bis PEG400 (Polyethylenglykol mit Ketten von 200…400). Wenn nun dieser Shop das PEG aber ebenfalls ablehnt, bleibt eigentlich nur noch Öl als Träger übrig:

Es ist besonders wichtig, nicht einfach altes CBD-Öl in den Tank der E-Zigarette zu füllen, sondern spezielle CBD-Dampfpatronen zu nutzen.“

Wobei wir zusammengenommen da anlangen, wo sich in Summe solche Ratschläge, Empfehlungen und Angebote über alle für Dampferzeugnisse geltende Regelungen hinwegsetzen. Damit aber scheint das auch BfR seine Untersuchungen mit aller Berechtigung unbeirrt auszudehnen. Und auch in einige Analysen fündig geworden zu sein.

Es bedarf keiner Prophetie, vorherzusagen, dass man beim BfR nicht zimperlich sein wird, wenn es um resultierende Empfehlungen geht. Alles was man an die Lippen führen kann, um daran zu ziehen und Wölkchen auszustoßen, wird dann garantiert nicht mehr differenziert nach Branche gegliedert aufgeschlüsselt. Sondern zusammen als Dampfen bewertet. Und auch das von mir aufs Heftigste gescholtene Editorial aus dem NEJM scheint seine Berechtigung zu behalten, in dem es vorhersagt, die dampfbezogenen Lungenerkrankungen bleiben uns erhalten.

Viel schlimmer noch wäre allerdings das Auftreten einer solchen Lungenschädigung in diesem Kontext hierin Deutschland. Wem dann der Dank für die Folgen gebührt, wird spätestens seit diesen vermehrten Funden sorglosen Anpreisens klar. Dampfer werden das dann kollektiv ausbaden dürfen, was eine Parallelgruppe in ihrer Naivität eingebrockt hat.

Zusammenfassung:

  • Wie haben zwei parallel existente Blasen. Wobei die eine der anderen weit mehr zugetan ist, als umgekehrt. Im Gegenteil, man fühlt sich da sogar auf der besseren Seite, da man ja mit einem grünen, naturreinen ‚Produkt‘, was nur gesund sein kann, hantiert. Und wünscht den anderen alles Schlechte, nämlich noch mehr Regulierung. Die Bösen, von der Tabakindustrie unterwanderten
  • These: gäbe es hierzulande eine Cannabisfreigabe, hätten wir längst den ersten EVALI-Fall.( s. Belgien)
  • denn egal, ob Schwarzmarkt oder Offizialprodukt – nach den jüngsten USA Funden sind die zugelassenen Labels auch auf ihre Zulieferer hereingefallen
  • die andere Blase nicht einmal Notitz davon zu nehmen scheint, dass ihre inhalierbaren Nischen-Produkte eigentlich Abfall der E-Zigaretten Entwicklung sind. Und mit einer Regulierung oder gar Verbot mit einem Federstrich ebenfalls über Nacht vom Markt verschwinden
  • es daher geboten scheint, sich von solchen unbekümmerten Ratschlägen und Angeboten deutlich zu distanzieren

Weiterführende Informationen

Quellen

  1. https://www.urania.de/live-audiostream-legal-illegal-warum-nochmal
  2. https://www.leafly.com/news/health/squalane-vape-recall-oregon

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